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Die Zeit   9.2.2016

Bad Aibling : Was wir über das Zugunglück wissen
Bei Bad Aibling sind zwei Nahverkehrszüge ineinandergerast. Zehn Passagiere starben. Es gibt unbestätigte Informationen zur Unglücksursache. Was lässt sich bisher sagen?
Von Tilman Steffen und Matthias Breitinger
9. Februar 2016, 20:27 Uhr 49 Kommentare
Der Unglücksort bei Bad Aibling, vom Fluss Mangfall aus gesehen
Der Unglücksort bei Bad Aibling, vom Fluss Mangfall aus gesehen © Michael Dalder/Reuters
Was genau ist passiert?

In schwer zugänglichem Gelände zwischen dem Fluss Mangfall und einem Wald sind wenige Kilometer westlich von Rosenheim zwei Nahverkehrszüge ineinandergefahren. Neun Tote wurden geborgen, ein Verletzter starb im Krankenhaus. Mehr als 60 Menschen erlitten leichte Verletzungen, 18 verletzten sich schwer. Noch immer wird ein Mensch vermisst. Die eingleisige Strecke ist durch die Trümmer der Waggons blockiert.

Der eine Zug kam aus Rosenheim, planmäßige Abfahrtszeit war dort 6.37 Uhr. Er sollte um 7.23 Uhr im knapp 50 Kilometer westlich gelegenen Holzkirchen sein, wo viele Pendler in Züge nach München umsteigen. Der andere Zug war um 5.39 Uhr in München gestartet und sollte um 6.49 Uhr in Rosenheim ankommen. Doch etwa um 6.40 Uhr rasten beide Zugköpfe in einer langgezogenen Kurve ineinander – zwischen dem Haltepunkt Bad Aibling Kurpark und der Haltestelle Kolbermoor, einer Station vor Rosenheim. Eigentlich hatten die Züge in Kolbermoor aneinander vorbeifahren sollen.
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© OpenStreetMap © Mapbox © ZEIT ONLINE

Das Gleis verläuft am Unglücksort entlang des Flusses Mangfall zwischen einem schmalen Uferweg und einem Waldstück, gelegen auf der Innenseite der Kurve. Die Zugführer hatten deshalb erst sehr spät Sichtkontakt, es gab keine Chance, die Züge per Gefahrenbremsung zu stoppen. Am Unglücksort sind nach Angaben des Streckeninhabers DB Netz 100 Kilometer pro Stunde erlaubt. Entsprechend verheerend war die Wucht des Aufpralls.
Wer sind die Betroffenen?

In beiden Zügen saßen etwa 100 Fahrgäste. An diesem Morgen waren es überwiegend Pendler, von denen viele nach München wollten. Zum Glück seien keine Schüler in den Zügen gewesen, sagte ein Polizeisprecher – in Bayern sind derzeit Faschingsferien.
Sind eingleisige Strecken nicht viel zu riskant?

Ein Großteil des deutschen Schienennetzes ist eingleisig, von insgesamt rund 33.200 Kilometern Netz haben etwa 15.000 Kilometer nur ein Gleis – nicht nur Nebenstrecken, sondern auch Hauptstrecken und selbst ICE-Strecken. Häufig habe es topographische Gründe, dass keine zwei Gleise verlegt werden, sagte eine Sprecherin von DB Netz, der für die Infrastruktur zuständige Deutsche-Bahn-Sparte.

DB Netz macht im Hinblick auf die Sicherheitstechnik keine Unterschiede zwischen ein- und mehrgleisigen Strecken. Das Netz wird flächendeckend durch das System "punktförmige Zugbeeinflussung" gesichert: Magnete im Gleisbett sind dabei mit den Signalen an der Strecke verkabelt, ein Gerät im Zug wiederum empfängt von den Magneten Signale. Steht ein Hauptsignal auf Rot, erhält der Lokführer über ein Signal – er muss dann mit einer Taste bestätigen, dass er dies bemerkt hat, anderenfalls bremst die Technik im Triebwagen den Zug ab. Laut Verkehrsminister Alexander Dobrindt ist das System in Deutschland Standard.

Nach Angaben der Deutschen Bahn ist dieses System auf der betroffenen Strecke erst vor etwa einer Woche technisch überprüft worden. Dabei habe es keine Probleme gegeben, sagte der Konzernbevollmächtigte für Bayern, Klaus-Dieter Josel.
Wer oder was hat versagt?

Das wissen wir nicht. Fakt ist, dass das Sicherheitssystem nicht wirksam war. Warum die punktförmige Zugbeeinflussung nicht funktionierte, ist unklar. Aufklärung erhoffen sich die Ermittler des Eisenbahn-Bundesamtes von den Blackboxes. Je drei solcher Datenschreiber hat jeder Zug. Zwei der sechs Blackboxes waren am Nachmittag bereits gefunden.

Bahnstrecken sind aus Sicherheitsgründen in Abschnitte unterteilt. Ist ein Zug in einen Abschnitt eingefahren, wird dieser Streckenbereich gesperrt. Nach Überfahren der Grenze zum nächsten Abschnitt gibt ein Stellwerk den verlassenen Bereich wieder frei. Nicht alle Freigaben erfolgen automatisch. Das ist abhängig vom Stellwerkstyp und der dort verbauten Technik. Sowohl menschliches als auch technisches Versagen kann Kollisionen verursachen. Im Falle der Kollision von Bad Aibling ist neben diesen beiden Faktoren auch vorsätzliches Handeln nicht ausgeschlossen.

Das Redaktionsnetzwerk Deutschland und die Agentur dpa berichteten unter Berufung auf Ermittlerkreise, das Unglück sei auf menschliches Versagen zurückzuführen. Ein Fahrdienstleiter habe die Kollision ausgelöst, indem er das automatische Signalsystem außer Kraft setzte, um einen verspäteten Zug noch "quasi von Hand durchzuwinken", heißt es beim Redaktionsnetzwerk. Für diese Information war am Abend weder bei der Polizei, noch bei Staatsanwaltschaft oder Eisenbahn-Bundesamt eine Bestätigung zu bekommen. Der Zug hätte, um dem entgegenkommenden Fahrzeug auszuweichen, rechtzeitig einen sogenannten Begegnungspunkt erreichen müssen, heißt es in dem Bericht. Dort ist die Strecke zweigleisig ausgebaut. Doch der verspätete Zug soll es nicht rechtzeitig bis zu diesem Punkt geschafft haben. Ein Sprecher der Polizeidirektion Oberbayern Süd wies den Bericht auf ZEIT ONLINE-Nachfrage als Spekulation zurück. Über die Ursache lasse sich noch nichts sagen. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Traunstein, Außenstelle Rosenheim, der Polizei und des Bundesamtes stünden erst am Anfang.   
Wer betrieb die verunglückten Züge?

Die Bayerische Oberlandbahn GmbH. Sie bedient die Strecke mit Zügen unter der Marke Meridian. Unter diesem Namen fahren Züge von München über Holzkirchen und Rosenheim nach Salzburg und Kufstein. Die Oberlandbahn bedient zudem drei Linien zwischen München sowie Lenggries, Bayrischzell und Tegernsee. Das Unternehmen ist Teil des französischen Verkehrskonzerns Transdev. Der Konzern gehört je zur Hälfte dem staatlichen französischen Finanzinstitut Caisse des Dépôts (CDC) und dem börsennotierten Konzern Veolia Environnement. Produziert hat die Züge der Schweizer Hersteller Stadler Rail.
Wie häufig gibt es Kollisionen auf Gleisen?

Unfälle mit Bahnzügen gibt es fast jährlich. Züge entgleisen, fahren in herabgestürztes Geröll oder in Rinderherden. Kollisionen von Zügen waren in den vergangenen 16 Jahren dagegen seltener: Im August 2014 rammte in Mannheim ein Güterzug einen Eurocity mit 250 Passagieren. Zwei Waggons stürzten dadurch um, 35 Menschen wurden verletzt. Der Lokführer des Güterzugs hatte ein Haltesignal übersehen. Im Januar 2011 starben zehn Menschen, als ein Nahverkehrszug bei Oschersleben in Sachsen-Anhalt mit einem Güterzug zusammenstieß.  Ein Lokführer hatte zwei Haltesignale überfahren. Im Oktober 2009 stießen bei einer Feier zum 125-jährigen Bestehen der historischen Lößnitzgrundbahn in Sachsen zwei der historischen Züge zusammen. 52 Menschen wurden verletzt, vier von ihnen schwer. Im Juni 2003 kollidierten bei Schrozberg in Baden-Württemberg zwei Regionalzüge. Sechs Menschen starben.
Reaktionen auf das Zugunglück Die Zahl der Toten infolge des Zugunglücks in Bad Aibling steigt weiter an. Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) kam zum Unglücksort und sprach von einer "schweren Stunde in der Geschichte des Zugverkehrs in Deutschland".


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Karl63
#1  —  vor 2 Stunden 4

So etwas macht immer betroffen - mein Beileid den Angehörigen.
Es stellt sich allerdings die Frage, ob den Deutschland als führende Industrienation nicht in der Lage sein soll, für die Zugsicherung ein System zu entwickeln, welches technisch auf der Höhe dieses Jahrhunderts ist. Eine Zugsicherung über Magnete im Gleisbett, das ist technisch auf dem Stand so etwa Mitte des vergangenen Jahrhunderts.
Wir sind inzwischen in der Lage rein technisch die Kommunikation per Handy rund um die Uhr bis in den hintersten Winkel dieser Republik zu gewährleisten - und dann soll es technisch nicht machbar sein, in Echtzeit die Bewegung eines jeden Zuges zu erfassen?
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Anne Wand
#1.1  —  vor 1 Stunde 3

"Wir sind inzwischen in der Lage rein technisch die Kommunikation per Handy rund um die Uhr bis in den hintersten Winkel dieser Republik zu gewährleisten - und dann soll es technisch nicht machbar sein, in Echtzeit die Bewegung eines jeden Zuges zu erfassen?"

Ist es doch schon. Nennt sich ERTMS bzw. ETCS, gibt es auch von Siemens. Ist aber für den grenzüberschreitenden Hochgeschwindigkeitsverkehr gedacht. Bei den Zugsicherungs- bzw. Zugbeeinflussungssystemen kocht jedes Land immer noch sein eigenes Süppchen.
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Avatarbild von Bishma
Bishma
#2  —  vor 2 Stunden 1

Ein tragischer Unfall. Mein Beileid den Hinterbliebenen.
Technisches oder menschliches Versagen ist leider nie auszuschließen.
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andrerae
#2.1  —  vor 49 Minuten

Ich hatte kurz die Befürchtung, dass es ähnlich dem Pilotenselbstmord geartet sein könnte. Wer weiss.
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Avatarbild von Glaubgarnix
Glaubgarnix
#3  —  vor 1 Stunde 3

"Im Falle der Kollision von Bad Aibling ist neben diesen beiden Faktoren auch vorsätzliches Handeln nicht ausgeschlossen. "

Das weckt ungute Erinnerungen. Vor rund 11 Monaten hat ein anderer "Unglücksfall" unser Vorstellungsvermögen dramatisch überstiegen. Lassen sich die Ungereimtheiten diesmal womöglich ähnlich erklären? Hat das andere Ereignis womöglich Pate gestanden?
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scrambled Ex
#3.1  —  vor 1 Stunde

Bei dem hohen technischen Niveau, das wir inzwischen im Verkehrswesen erreicht haben, kommt mir der Gedanke an blankes technisches Versagen jedenfalls etwas merkwürdig vor.
Dann doch eher menschliches Versagen (falsches Eingreifen) oder auch was ganz anderes.
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henry86
#4  —  vor 1 Stunde 4

Ganz ehrlich - ich habe kein Verständnis für sowas. Es lässt sich technisch heutzutage völlig problemlos realisieren, dass solche Unglücke ausgeschlossen werden. Das es hier auch nur theoretisch möglich ist, dass ein Fahrstellenleiter Züge so losschicken kann, dass sie kollidieren könnten, ist schon ein Skandal.

Wenn es technisch nicht ausgeschlossen ist, dass Züge auf so einer Strecke kollidieren können, MUSS die Verkehrsregel eben so angepasst werden, dass die Züge nur so schnell fahren, dass sie auf halber Sichtweite anhalten können. Also auf diesen Abschnitt vielleicht 20 statt 100 km/h!

Im Straßenverkehr ist diese Regel ja auch selbstverständlich! Und hier geht es im Ernstfall um hunderte Menschenleben!

Beste Grüße,
henry
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PWeierstrass
#4.1  —  vor 56 Minuten 1

Absolute Sicherheit ist technisch nahezu unmöglich, und vor allem ein finanzielles Desaster. Frontalkollisionen zwischen Zügen sind schon glücklicherweise extrem selten.

Jede neue Sicherheitsmaßnahme muss bezahlbar sein, zu bestehenden Technologien kompatibel sein (oder auf diese aufbauen), und vor allem muss sie ein vorrangiges Sicherheitsproblem lösen.

Falls es sich bewahrheitet, dass der Fahrdienstleiter einfach einen verspäteten Zug durchwinken wollte, liegt die naheliegendste Sicherheitsmaßnahme darin, dass das Eisenbahnbundesamt für solche Fälle die fristlose Entlassung für sämtliche Beteiligte vorsieht.
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